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Freitag, 16. Oktober 2015
Lit-06: Hochschule für bildende Künste Hamburg


Vgl


 


Graduiertenkolleg - Forschungsschwerpunkt
HFBK Hochschule für bildende Künste Hamburg
www.hfbk-hamburg.de
  1. Techniken

    Derzeit vollziehen sich neuartige Verschiebungen und Überlagerungen von „physischen“ und „virtuellen“ Räumen, bei denen Simulationstechniken nicht nur zur Generierung von „virtuellen Welten“ eingesetzt werden, sondern Wirklichkeiten modellieren und in „physischen“ Räumen intervenieren.
    Die Auseinandersetzungen mit Techniken des Virtuellen kulminieren in der Frage, in welchem Verhältnis eine Kunst der Ermöglichung zu Techniken der Überwachung, Kontrolle, Regulierung und Vernichtung steht. Von hier aus soll reflektiert werden, in welchen Bereichen auf Simulation basierende Weltmodelle die Wirklichkeit und Wahrnehmung physischer Räume und die Entwicklung von Handlungsmodellen determinierten.
     
  2. Sichtbarmachungen

    Technologien der Visualisierung haben das Ziel der Aufklärung, Licht – mithin Anschaubarkeit – in die Dinge zu bringen, immer schon mit einer Kehrseite versehen. Wo das Sichtbare etwa durch optische Geräte und Interpretationen des Gesehenen erweitert wurde, bildete sich in ihm die Dunkelzone eines „Spuks“ ein: Berührungen mit dem Unheimlichen, Phantastischen oder Surrealen haben insofern selbst eine „Sehgeschichte“. In der Auseinandersetzung mit Sichtbarmachungen soll deshalb eine Doppelbewegung (nach)vollzogen werden. Einerseits soll die Produktion von Sichtbarkeit hergeleitet werden, die aus dem Unsichtbaren aufsteigt, wobei die historisch je differente Funktion von Medien in den Blick gerät. Andererseits – und dies ist noch wesentlicher – soll von der Sichtbarkeit auf die Unsichtbarkeit zurückgekommen werden. Es gilt, sie im Sichtbaren als Zurichtung und ästhetische Funktion auszumachen, die eine „Wirklichkeit“ des Sichtbaren nicht zuletzt an die Wirksamkeit des Unsichtbaren knüpft. Damit kommen, neben der Tarnung oder Camouflage, auch Mimikry und Mimese ins Spiel. So ermöglicht das (partielle oder relative) Unsichtbarwerden eine erhöhte Sichtbarkeit, die etwa im Falle der postkolonialen oder einer geschlechtertheoretisch gewendeten Mimikry und Maskerade emanzipatorisches Potential entfaltet. Es verleiht der Virtualität – wie die Wortgeschichte (Vir) zu erkennen gibt – eine Wendung, die sich einer genealogisch männlich tradierten Ermächtigung zur Führung von Regierungs- und Kriegsgeschäften entzieht. Da zudem Tarntechniken als spezifische moderne Oberflächengestaltung historisch eng mit der „Erfindung der Abstraktion“ verbunden sind, gilt es auch die Abstraktion als Epoche und künstlerische Haltung erneut in den Blick zu nehmen.
     
  3. Wiederholungen und Differenzierungen

    Hier werden Fragen der selbstreflexiven Wiederholung, der kritischen Aneignung mittels ästhetischer Abänderung oder Neukontextualisierung, der bewussten und umwertenden Zitation, der Vielfachbezugnahme auf auch anders-kulturelle Artikulationen relevant.
    Damit nähert sich das Kolleg auch naturwissenschaftlich-soziologischen Überlegungen an, wie sie von Bruno Latours „Actor-Network-Theorie“ vorgetragen wurden. Latour entlässt nicht nur bis dato unwahrgenommene Momente aus ihrer Virtualität, sondern entwickelt eine neue „physikalische Soziologie“. In verwandter Weise entfalten heute selbstreflexive künstlerisch-wissenschaftliche Forschungen zwischen Aktualisierung und Virtualität changierende, „inter-disziplinäre“ Artikulationen und andere Ästhetiken: Bezeichnungen wie „Docufiction“ künden davon. Vor allem aber erfordert das veränderte Wirklichkeitsverständnis die gleichzeitige Reflexion der künstlerischen, epistemischen und technologischen Zugriffe in ihrer wechselseitigen Voraussetzung, ihrer Wiederholung und Differenz, der wir mit der Aufsplitterung der Virtualität in ihre Teilkonnotationen und mit deren gleichzeitiger Analyse zu entsprechen suchen.
     
  4. Mediale Revolutionen

    Mediale Revolutionen der vergangenen Jahrzehnte haben eine Fülle von Fragen hervorgebracht, die sich auf eine zunehmende Verquickung wissenschaftlicher, künstlerischer und technischer Dispositive beziehen. Ökonomische und soziale Determinationen reichen nicht aus, um solche Prozesse zu analysieren. Jeder Aufruhr stellt die hegemonialen Zeichenregimes in Frage, reißt deren Semiologien aus bestehenden Ordnungen heraus, konfiguriert sie neu und verwandelt sie in Elemente differenzieller und differierender Stasen. Fragen einer aisthesis spielen hier eine entscheidende Rolle. Ihnen korrespondieren Semiosen, die das gesellschaftliche Gefüge in Virtualitäten durchlaufen und erschüttern. Nicht zuletzt in den Künsten finden sie ihre Vorboten und Sensorien. Von hier aus soll die Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen „Kunst“, „Medien“ und „Revolten“ ins Zentrum rücken. Welche Bedeutung etwa haben ästhetische und mediale Zeichenordnungen oder Semiosen, welche Wirkung hat die Musik im Innern eines vielfachen Aufruhrs, und welcher andere Umgang mit technischen Medien und künstlerischen Erfahrungen gruppiert mit ihm die Beziehungen von Sinnlichkeiten und Denken um? Wie also kann revolutionäre Militanz aus anderen Kreativitäten als den revolutionstheoretisch traditionellen hervorgehen?
     
  5. Zeit und Zeitlichkeit

    Strukturen der Zeit werden zusehends von Rissen und Turbulenzen heimgesucht, die mit Linearitäten brechen, zeitliche Horizonte kollabieren lassen und jede Kontinuität eines einfachen „Verlaufs der Zeit“ erschüttern. Bereits auf der Ebene alltäglicher Phänomenologien prägt das Ineinander eskalierender Geschwindigkeiten und lähmender Bewegungsunfähigkeit Lebensvollzüge und Wahrnehmungsweisen: die Erfahrung eines „rasenden Stillstands“ (Paul Virilio) durchsetzt Biografien bis in ihre Mikrologien hinein. In politischen, militärischen, sozialen und kulturellen Bereichen brechen Ungleichzeitigkeiten auf, die – etwa in terroristischen Bewegungen – das Design archaischer Mytheme mit modernsten Informations- und Waffentechnologien verschränken, um bewaffnete Konflikte „asymmetrisch“ werden zu lassen. Auch ökonomisch implodiert die Linearität der Zeit. Basierte das Prinzip der Kreditierung und Verschuldung einst auf der unbegrenzten Vertagung ausstehender Ansprüche auf eine Zukunft, so bricht das Unbegrenzte als „algorithmic trading“ in die unmittelbare „Gegenwart“ ein. Zeitlichkeit wird subtil verwüstet und zersplittert in ein „Dickicht nichtlinearer historischer Entwicklungen“ (Joseph Vogl). Philosophisch und kulturtheoretisch wird die Vorstellung zeitlicher Kontinuitäten aufeinander folgender „Gegenwartspunkte“ spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Frage gestellt, und in den Gebilden der Kunst artikulierten sich stets schon andere Zeitlichkeiten als die des kontinuierlichen Verlaufs und einer geordneten Abfolge identifizierbarer „Zeitabschnitte“. In eskalierenden Schüben brechen in zeitlichen Ordnungen gesamtgesellschaftlich Virtualitäten auf, die jede „Planung“, jeden „Entwurf“ einer „Zukunft“ wachsend vereiteln und die Vermögen jeder „Prognostik“ zusehends überfordern. Entwicklungen werden ebenso unkalkulierbar wie die Einschätzung ihrer Risiken: nicht von ungefähr wurde das Bewusstsein der Gegenwart wachsend zu einem ihrer auch katastrophischen Möglichkeiten. Eine wissenschaftliche wie künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen, wie sie das beantragte Kolleg ins Auge fasst, soll präzisieren, wie wissenschaftliche und künstlerische Verfahren diesen Virtualitäten der Zeit Rechnung tragen können. Probleme einer Wiederholung treten dabei in den Vordergrund. Sie betreffen Fragen der Gestaltung ebenso wie die epistemischer Systeme.
     

 



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